Nicht Helfer, nicht Opfer – Menschen

Ich habe großen Respekt vor dem Engagement der beiden, davor, mit wieviel Offenheit, Ehrlichkeit und persönlichem Einsatz sie hier sind. Es ist sicher nicht leicht und endet nicht so schnell hinter dem Tor auf dem Nachhauseweg – Hut ab!

Mir sitzen die zwei Frauen gegenüber und schauen etwas betreten: „Du, tut uns leid, aber jetzt müssen wir erst unbedingt die Schularbeiten fertigmachen – die braucht er doch morgen.“ Kein Stress, denk ich mir, und sehe mich inzwischen in dem Raum um. Ganz offensichtlich das Spiel- und Kinderzimmer, freundlich, mit lauter bunten Spielsachen, eine vergessene Jacke hängt über dem Haken, eine Mütze dort, viele Fotos. Sie zeigen fröhliche lachende Kinder und lächelnde Erwachsene. Schriftzeichen in verschiedenen Sprachen. Der Raum ist so groß wie ein Klassenraum, hell und einladend mit den ganz verschiedenen farbigen Utensilien. Dann kommt Hussein, einer der geflüchteten jungen Männer, die sehr schnell die Sprache gelernt haben und dann ebenso schnell zur unentbehrlichen Hilfe für alle werden.

Vor allem die Ehrenamtlichen sind froh über den bereitwilligen, freundlichen und sehr sprachbegabten Dolmetscher. Er holt den kleinen fleißigen Deutschschüler zum Essen, also kurze Pause und Lore und Susanne haben Zeit für mich. Beide sind seit Anfang an hier in der Notunterkunft im Glambecker Ring, beide sind aus Mahlsdorf-Süd, wohnen gar nicht so weit voneinander entfernt und haben sich aber erst hier im Haus kennengelernt. Sie bemerken die große Verschiedenheit der hier Wohnenden, die Individualität. Die Unterschiede und auch die unterschiedliche Herkunft, die kulturelle oder religiöse Vielfalt spiegeln sich auch im Umgang miteinander wider – es ist nicht unkompliziert. Viel belastender ist allerding die Erfahrung mit den Ämtern in Berlin. Entgegen allen anderslautenden Beteuerungen werden die Hilfesuchenden enttäuscht und zustehende Leistungen nicht gewährt oder erst Monate später. Das ist die Realität, wenn sie bspw. mit großer Bereitschaft für 1 € pro Std. Hilfsleistungen erbringen bei der Essensausgabe, bei der Gartenarbeit, beim Übersetzen.

Aber alle, die jetzt hier sind, sind voller Hoffnung auf ein bisschen persönliches Glück. Sie denken schon an ihr Leben hier in Deutschland und rechnen damit, sich längerfristig irgendwo ein Zuhause zu schaffen. Allerdings gibt es da genau solche Hürden, die ihre Geduld auf eine harte Probe stellen und ihnen manchmal den Mut nehmen. So haben jetzt viele einen Gutschein vom LaGeSo, dass die Kosten für eine Wohnung übernommen werden. Diesen Gutschein akzeptiert aber keine Wohnungsgesellschaft, weil die wissen, dass sie dann auch nicht rechtzeitig ihre Miete bekommen. Erst, wenn jemand diesen Gutschein vom Jobcenter oder Arbeit erhält (was in der Regel nur längerfristig überhaupt möglich ist), dann hat er reale Chancen auf eine Wohnung. Besonders für Familien mit 1, 2, 3 oder 4 Kindern, die seit mehr als einem halben Jahr in einem Zimmer in diesem Heim wohnen, wird die Situation zunehmend unerträglich. Sie wünschen sich ein wenig Privatsphäre, ein eigenes Zuhause und tun alles dafür, das Wohnen im Heim, das für manche schon viel zu lang dauert, ein bisschen freundlicher zu gestalten.

Einige lernen fleißig in den Deutschkursen im Haus, die aufrechtzuerhalten aber doch schwierig ist – oft läuft es auf Einzelunterricht hinaus. Gern beteiligen sie sich an den verschiedenen Höhepunkten. Beliebt sind Ausflüge, wie in die Gärten der Welt oder im Winter in die Philharmonie, und mittwochs kommt der Clown. Ansonsten kommen die Bewohner*innen nicht viel raus, was für Integration natürlich auch ein Problem ist. Der Kiez lädt sie nicht ein, jedenfalls fühlen sie sich nicht so wirklich als willkommene Nachbarschaft.

Aber beide Frauen sind stolz auf den Fleiß, mit dem ihre neuen Freunde – doch das sind sie schon – versuchen, hier im fremden Land zurechtzukommen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Wöchentlich kochen sie zusammen oder einige Frauen nähen. Gerade die Frauen bemerken schon die großen Chancen, die sich ihnen hier in Berlin bieten könnten. Aber auch das Leben von Lore und Susanne hat sich unumkehrbar geändert. Sie haben die Menschen, die hier wohnen längst in ihr Herz geschlossen - den einen mehr, den anderen weniger. Sie bestimmen ihren wöchentlichen Alltag und füllen ihn auf eine unerwartete Art und Weise. Inzwischen ist Vertrauen gewachsen, die Beziehungen bestehen auf Augenhöhe und das erfüllt sie mit einer großen Zufriedenheit. „Aber jeder kann sich einbringen, der es wirklich will“, sagt Susanne am Schluss. „Gerade das fehlt wirklich: Freundschaften oder Patenschaften, damit die Fremdheit verschwindet.“

Ich habe großen Respekt vor dem Engagement der beiden, davor, mit wieviel Offenheit, Ehrlichkeit und persönlichem Einsatz sie hier sind. Es ist sicher nicht leicht und endet nicht so schnell hinter dem Tor auf dem Nachhauseweg – Hut ab!

Sabine Schwarz
Bezirksverordnete